Neulich in einem Gespräch mit Freunden im Biergarten kam die Frage auf, wo Sohnemann in den Kindergarten und zur Schule gehen soll. Das Stichwort Montessori fiel. Zugegeben hatte ich irgendwie nicht so richtig auf dem Schirm, was sich dahinter verbirgt. Als ich mich dann belesen habe, was es damit auf sich hat, schien der Unterschied zu meinem Arbeitsplatz irgendwie gar nicht so groß. Ist meine Arbeit nun ein Kindergarten oder lernen unsere Kleinen schon ein agiles Mindset für die digitalisierte Welt da draußen? Eine Betrachtung von Parallelen.
Am 20. August beginnt in Berlin wieder die Schulzeit. Berlin besitzt 7 Schulen und 20 Kindergärten, die nach eigener Aussage mit der Montessori-Methode arbeiten. Und nein, es hat nichts mit dem Tanzen des eignen Namens zu tun, sondern vielmehr darum, die Kinder entscheiden zu lassen, was sie wann lernen. Also pull-Prinzip für Kinder?
Maria Montessori war Italienerin und hat in Rom als Ärztin promoviert. Das war 1896 noch durchaus unüblich und ein erstes Zeichen ihrer ungebrochenen Durchsetzungsfähigkeit, was Gleichberechtigung angeht. Während ihrer Arbeit mit geistig behinderten Kindern und ihrem Bemühen, sie in speziellen Schulen entsprechend zu fördern, entwickelte sie erste Ansätze ihrer Methode. Sie eröffnete einen Kindergarten, in dem Kinder aus sozial schwachen Familien betreut wurden. Und was passierte? Die Kinder lernten dort erstaunlich schnell lesen, rechnen und schreiben. Das erregte Anfang des 20. Jahrhunderts durchaus Aufmerksamkeit! Und fast nebenbei lernten sie zudem soziale Werte, wie Rücksichtnahme und Verantwortung. Wie geht das?
Nach Montessori werden Kinder als vollwertige Person mit eigener Persönlichkeit gesehen. „Hilf mir, es selbst zu tun“ ist der Leitsatz Montessoris, die Erlangung der Unabhängigkeit das eigentliche Ziel. Der Erwachsene soll eher Partner oder Verbündeter sein, als kontrollierende Aufsichtsperson. Die Kinder sollen ohne Behinderung und Kritik lernen können – ohne Vergleiche zu Standards, sondern unter der Grundannahme, dass jedes Kind aus eigener Motivation heraus lernen WILL und es sich aussucht, was es wann lernt. Montessori geht davon aus, dass Kinder zu bestimmten Zeiten etwas Bestimmtes lernen wollen (sensible Phasen). Das Lernen wird aber eben durch den Lernenden verantwortet, d.h. jedes Kind darf sich aussuchen, was und mit wem es gerade an etwas arbeiten bzw. lernen möchte.
Durch das Raum geben für eigene freie Entscheidungen sollen die Kinder ihren eigenen Willen entwickeln lernen. Richtig, Fehlerkultur und scheitern gehören auch hier dazu. Denn auch so lernen sie, Schwierigkeiten zu meistern, statt vor ihnen wegzulaufen.
In einer Art Meeting kommen beispielsweise die Schüler aller Klassenstufen zusammen und es werden wichtige Dinge und auch Regeln besprochen. Ob Lean Coffee, Replenishment oder Retro, irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es hier viele Parallelen gibt.
Sich selbst die Aufgaben ziehen? Hört sich doch in unserem agilen Ohr schwer nach pull-Prinzip an! Dass das sich-selbst-verantworten durch die selbstbestimmte Auswahl der Aufgabe eine enorme Motivation auslöst, machen wir uns im agilen Arbeiten ja schließlich auch zu nutze! Commitment ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für Motivation und Qualität der Arbeit. Und wenn wir so Aufgabe um Aufgabe erledigen, nennen wir es Flow. Die Kinder hingegen sind einfach völlig vertieft in ihr Spiel. Und dennoch ist beides arbeiten, lernen und – ja, Spaß machen sollte es ebenfalls.
Selbst aktiv werden, sich als Gemeinschaft sehen, um so auch Respekt zu lernen, statt von oben herab diese Werte „eingetrichtert“ zu bekommen, hat immer noch eine Anmutung von einer 68er Bewegung oder der Ökomutti von nebenan. Dabei geht es um eine alternative Wertevermittlung, die sich im späteren Alltag auszahlen kann. Ein agiles Mindset muss sich dann nicht erst im Erwachsenenalter angeeignet werden, sondern wird von klein auf zur Selbstverständlichkeit!
Verantwortung dafür übernehmen, was man tut, geht nur mit einem gewissen Grad an Freiheit. Die Freiheit, zu entscheiden, an was man arbeitet, genauso wie die Freiheit zu experimentieren. Und was wollen wir mehr, als wenn schon die Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen? Denn wie soll das funktionieren, wenn es Kindern ganz anders anerzogen wird und sie sich dann im agilen Arbeitsumfeld völlig neu daran gewöhnen müssen, dass ihnen (als Erwachsene wohlgemerkt!) etwas zu getraut wird! Ja viele müssen sich erst daran gewöhnen, wirklich selbstständig zu sein – häufig im besten Manageralter. Früh damit anzufangen und das als Grundstein zu setzen scheint also eine gute Basis zu sein, auch im Hinblick auf eine Gesellschaft, die immer komplexer wird und der eben nicht mit hierarchischen Strukturen, sondern mit erlerntem Umgang mit Unbekanntem beizukommen ist.
Dabei gab es zu Maria Montessoris Zeiten noch keine Buzzwords, wie Digitalisierung und Komplexität. Weit weg von hippen Büros mit Break-Out-Zonen und dem Hype von holokratischem Denken war Maria einfach nur eins bewusst:
Das Schaffen einer Atmosphäre, die Lernen ermöglicht und fördert und dabei das Arbeiten der Verantwortung eines jeden Einzelnen unterstellt und damit eben Augenhöhe erzeugt – ist in beiden Umfeldern, ob Büro oder Schule, ein ganz wesentlicher Teil. Den Rahmen geben, das eigene Lernbedürfnis auszuleben und später weiter zu unterstützen, ist das, was Montessori, aber eben auch Agilität ausmacht. Nichts anderes ist, was einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess erst ermöglich – Stichwort Kaizen. Und der Leitsatz „Hilf mir, es selbst zu tun“, kann im agilen Sinne ebenfalls auf das Lernen ausgelegt werden. Das Vermeiden von Wissensinseln, sondern Hilfe durch Wissensweitergabe ist doch auch für unser Arbeitsumfeld prägend.
Nur wenn wir lernen wollen, dann begreifen wir auch wirklich. Und das Wollen darf nicht durch übergeordnete Strukturen oder unnötige Begrenzungen verhindert werden. Denn dann erziehen wir uns Mitarbeiter, die nur tun, was ihnen gesagt wird und um 17 Uhr den Stift fallen lassen. Doch Selbstständigkeit und das Übernehmen von Verantwortung benötigt natürlich Vertrauen und soziale Fähigkeiten, ob nun Pädagoge oder Team Lead. Eben begleiten, nicht von oben herab führen. Denn auch im agilen Arbeitsumfeld ist Leadership die laterale Begleitung und nicht als hierarchische Ordnung zu sehen. Ob also Montessori oder New Work – agile Werte sind also auf kein Alter beschränkt!
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