30. November 2020

Der neue Scrum-Guide: Blick auf das 2020er Update

Martin Stahl

Die Scrum-Community und insbesondere ihre beiden Gründer Jeff Sutherland und Ken Schwaber aktualisieren alle paar Jahre das zentrale Dokument, den Scrum-Guide. Nach dem letzten Update im Oktober 2017, war es diesen November wieder soweit: Sutherland und Schwaber laden zum Webinar, in dem die Aktualisierungen vorgestellt werden. Ziel dieser Updates ist es weniger, Scrum radikal zu verändern, sondern eher ein besseres und prägnanteres Format zu finden, Scrum zu beschreiben und erklären.

Als erstes fällt die Länge bzw. Kürze des Scrum-Guides in den Blick: die englischsprachige pdf-Variante (die deutsche Übersetzung ist mittlerweile erschienen) ist von etwa 19 auf angenehme 13 Seiten geschrumpft. Auch wurde an der Sprache gefeilt: man hat den Eindruck, dass der Guide jetzt runder, einfacher und vor allem auch offener formuliert ist. Die große Herausforderung der Autoren ist ja, dass Scrum mittlerweile nicht nur in unterschiedlichen Kontexten der Softwareentwicklung eingesetzt wird, sondern darüber hinaus an großer Popularität gewonnen hat und jetzt als Rahmenwerk für jede Art von Wissensarbeit im komplexen Raum dient. Damit kommt der Wunsch und Notwendigkeit, Fachbegriffe aus der IT-Welt möglichst zu vermeiden.

Dies wird u.a. daran sichtbar, dass das Development-Team aus dem Guide genommen wurde. Es gibt jetzt nur noch das Scrum-Team, bestehend aus Developern, Scrum Master und Product Owner. Für die Developer, als die ausführende Rolle, hat leider keine sprachliche Alternative Eingang in den Guide gefunden. Viele hätten sich da gerne Team-Member oder Vergleichbares gewünscht.

Im Gegensatz zu dem, was man sprachlich oder in Blogartikeln so liest und hört, will Scrum keine Methode, sondern ein Rahmenwerk sein. Die Methode zum Framework ist die empirische Prozesskontrolle mit den Pfeilern Überprüfung (Inspect), Anpassung (Adapt) und Transparenz. Neu und wertvoll an dieser Stelle ist der Verweis auf lean thinking und dem Paradigma der Vermeidung von Verschwendung und Tätigkeiten, die keinen Wert stiften. Das ist ein wichtiger Fingerzeig in Richtung des doing twice the work in half the time (so der Titel eines Buchs des Scrum-Gründers Sutherland): nicht die Geschwindigkeit ist der Selbstzweck, sondern gezielt Wert zu stiften, zum Beispiel, indem ein klarer Fokus geschaffen wird.

Ausdruck der Fokussierung ist auch das neu eingeführte Produktziel (Product goal), ein Langzeitziel für das Produkt, das im Produkt-Backlog als zum Ausdruck kommt. Das Produkt-Backlog ist mitnichten eine Sammlung von Ideen, sondern der Ausblick auf die nahe Zukunft und der relevanten Fragestellungen - und wird laufend angepasst. Das Produktziel kann als Orientierung besonders für Teams dienen, die sich als reine feature factory (im Sinne des reinen Abarbeitens von Themen mit unklarem Nutzen) missbraucht sehen.

Mit dem Produktziel kommt wieder ein alter Bekannter zurück in den Scrum-Guide: das Commitment. Früher als unverrückbare, verbindliche Zusage der Erstellung eines Arbeitspakets missverstanden, wurde es deswegen vor ein paar Jahren im Guide durch den Begriff Vorhersage ersetzt. Wie es jetzt so schön heißt: “In complex environments, what will happen is unknown.

Die Verwendung von Commitment in der aktuellen Version des Scrum-Guides ist eine andere: basierend auf der empirischen Prozesskontrolle müssen wir als Scrum-Team sicherstellen, dass es in jedem Schritt eine möglichst hohe Transparenz und einen klaren Fokus gibt. Um das zu unterstützen, wurde zu jedem der Scrum-Artifakte ein Commitment eingeführt:

  • Wie oben erwähnt für das Produkt-Backlog ist es das Produktziel;
  • für das Sprint-Backlog ist es das Sprintziel (Sprint Goal);
  • für das Inkrement die Definition of Done.

A propos Inkrement: auch hier gibt es eine Neuerung: der Scrum-Guide kennt jetzt multiple Inkremente während des Sprints, eine in Zeiten von continuous delivery notwendige Anpassung: die Praxis, dass erst am Ende des Sprints das komplette Arbeitspaket auf einmal veröffentlicht wird, ist zumindest in der modernen Softwareentwicklung kaum noch üblich.

Eine bedeutsame Erweiterung erhält das Sprint Planning: es soll jetzt über drei Themen gesprochen werden. Neben dem bisher schon üblichen Was können wir im Sprint umsetzten und Wie kommen wir dahin soll jetzt zuerst überlegt werden, wie bzw. wodurch der Sprint wertvoll wird. Damit hält das start with why (Simon Sinek) auch in den Guide Einzug. Teams werden somit in die Lage versetzt, den Sinn und Unsinn geplanter Features zu diskutieren und hinterfragen.

Auch die Beschreibung der Scrum-Rollen sind sprachlich nuancierter geworden. So wurde der Rollen-Begriff komplett ersetzt durch accountabilities, in der deutschen Version des Scrum Guides mit Ergebnisverantwortung übersetzt. So findet sich jetzt eine bessere Beschreibung der Dinge und Bereiche, für die das Scrum-Team ergebnisverantwortlich ist.

Zwei in der Community heftig diskutierte Änderungen sind einerseits die Beschreibung des Scrum Masters als true leaders who serve the Scrum Team and the larger organization (vorher: servant leaders); und die Beschreibung des Teams als self-managed (vorher: selbstorganisiert).

Im Falle des Servant Leaders ist die Kritik berechtigt, da dieses Konzept mittlerweile recht breit eingeführt ist und dazu auch genug Bücher geschrieben wurden. Trotzdem scheint es zu Unklarheiten gekommen zu sein und Scrum Master haben sich oft in einer eher reaktiven Rolle wiedergefunden, also mehr servant als leader. Durch die neue Formulierung soll der pro-aktive Anteil der Rolle stärker betont werden.

Auch das neue self-managed hat nicht nur Freude ausgelöst: die selbstorganisierten Teams bzw. die Selbstorganisation sind ein stehender Begriff und ein Konzept, das im Herz der agilen Vorgehensweisen steht. Durch das “self-managed” wollen die Autoren das Konzept nicht für obsolet erklären, sondern darauf hinweisen, dass der Einflussbereich der Teams sich hauptsächlich auf die Organisation der eigenen Arbeit und Arbeitsweisen bezieht, weniger über die des ganzen Unternehmens. Auch das bleibt natürlich weiterhin möglich und wird in vielen Unternehmen auch so gehandhabt, allerdings will Scrum dazu keine Aussagen treffen.

Wie die Versionen des Scrum-Guides zuvor, sind auch die aktuellen Änderungen (sagen wir doch Inkremente) erstmal nur der Versuch, Scrum als Rahmenwerk leichter verständlich zu machen. Im Sinne des inspect and adapt ist auch diese Ausgabe nur eine temporäre und wir dürfen gespannt sein, wie die Veränderungen angenommen und interpretiert werden.

Die aktuelle Version des Scrum-Guides findet sich hier: https://scrumguides.org/scrum-guide.html. Bald sollte auch die deutschsprachige Version auf der selben Seite vorliegen.

 

Martin Stahl
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