Ich stolpere häufig über die Formulierung “agile Führung”. Dabei sind die Interpretationen sehr unterschiedlich und sehr Vieles kann darunter verstanden werden. Denn geht es nicht vielmehr um Führung IN einem agilen Umfeld? Und wie kann eine solche Führung aussehen? In diesem Artikel möchte ich einen Führungsansatz vorstellen, der in meinen Augen wirklich als agiles Leadership zu übersetzen ist - weil er an das angepasst ist, was den meisten Wert in einer gegeben Situation schaffen soll.
In vielen Organisationen entwickeln sich mit der Zeit gruppendynamische Muster, die weniger hilfreich sind. Häufig fallen Sätze, wie: “Person XY ist immer dagegen”, “Er/Sie weiß es eh besser” oder “Er/Sie hat schon wieder neue, unmachbare Ideen.” Dabei entwickeln sich schnell persönliche Konflikte zwischen Personen, die einerseits auf der betrieblichen Rolle, also der Position im Unternehmen, beruhen können und andererseits auch darauf, welche Rolle die Parteien in der Kommunikation einnehmen, welche sich verfestigen können.
Als Grundlage zur Erklärung dieses Phänomens und gleichzeitig für dialogisches Leadership dient das Kantor-Modell. Dies ist ein Modell zur Beschreibung von solchen Gruppendynamiken. Es zeigt auf, welche Rollen in einer Gruppe benötigt werden, um effektiv Erkenntnisse zu gewinnen - also einen Dialog zu führen. Die Annahme in dem Modell ist, dass dafür 4 Rollen - welche nicht mit Personen gleichzusetzen sind - notwendig sind:
Quelle des Bildes und noch mehr Info gibt es in diesem Artikel: https://thesystemsthinker.com/dialogic-leadership/
Annahme in dem Modell ist: Rollen sind nicht an Personen gebunden. Wenn sich Rollen in Personen festigen, besteht die Gefahr für pauschalisierte Aussagen wie o.g. “Person XY ist immer dagegen”. Hierbei kann euch das Modell helfen, diese Muster zu adressieren und Rollen bewusst zu wechseln.
Dialogic Leadership baut hierauf auf. Zudem geht dieser Ansatz davon aus, dass erst durch effektive Gespräche das volle, unsichtbare Potenzial von Gruppen und Teams zur Geltung kommen kann. Das funktioniert aber nur, wenn Menschen aufrichtig ihre Meinung äußern können. Hier beginnt Dialogic Leadership: Aufgabe von Führung ist es, ein Umfeld zu schaffen und sicherzustellen, dass alle Rollen vertreten und ausgeglichen sind, um jeweils das Beste aus einer Diskussion zu machen. Dies kann beispielsweise bedeuten, so zu führen, dass offen und ehrlich die eigene Meinung ausgesprochen wird, um zu “moven”. Ob dabei die Führungskraft oder Teammitglied “moved” ist nicht wichtig - lediglich, dass diese Rolle erfüllt wird. Ebenso gehört es zu dieser Art von Führung, in Gesprächen aktives Zuhören zu fördern und Andere zu ermutigen, die eigene Perspektive zu teilen. Es geht darum, die Funktionen der verschiedenen Rollen auszubalancieren. Durch diese bewussten Rollenwechsel kann jedes Teammitglied beitragen, dass die Kommunikation effektiver wird und somit führen - diese Möglichkeit ist nicht formalen Führungskräften vorbehalten.
Das Dialogic Leadership ist an die jeweilige Gesprächssituation und Gruppendynamik angepasst: abhängig davon, was in einer gewissen Situation benötigt wird, können alle Gesprächsteilnehmer bewusst dazu beitragen, das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Dies kann bedeuten, Ideen einzubringen und bei einem bestimmten Thema zu “moven”. Gleichzeitig ebenso, sich in bestimmten Situationen ganz bewusst zurückzunehmen und durch gezielte Fragen die benötigte Tiefe in Diskussionen zu bringen. Manchmal kann es das Beste sein, nichts zu tun, außer die eigenen Eindrücke der Gruppendynamik zu teilen - es geht immer um das Ergebnis, nicht um die Selbstpräsentation. Damit wird Führung nicht durch die formale Position bestimmt, sondern vielmehr durch das Erfüllen verschiedener Funktionen in einem Gespräch - und diese wechseln von Gespräch zu Gespräch. Im Optimalfall bedeutet dies, dass Führung lateral ist: Jeder kann dazu beitragen, Diskussionen effektiver zu machen und abhängig vom Thema inhaltlich führen - “moven”.
Ebenso eröffnet es Führungskräften neue Perspektiven und Reflektionsraum für ihr Verhalten. Denn weshalb sollte eine Führungskraft immer (automatisch) “moven”, wenn bereits ausreichend Potenzial für diese Funktion in einer Gruppe vorhanden ist. In diesem Fall kann die Führungskraft ggf. eher beitragen, indem sie durch aktives Zuhören das Gesagte mit Tiefe füllt und somit eine nicht ausgefüllte kommunikative Rolle einnimmt.
Hier ein Beispiel: Wenn in einer Gruppe viele Ideen zur Produktstrategie oder zu neuen Innovationen existieren, gilt es diese als Führungskraft nutzbar zu machen und durch Nachfragen mit Tiefe zu füllen, anstatt aufgrund der eigenen Position das Gesagte zu wiederholen oder versuchen die eigenen Ideen durchzudrücken. Im Gegensatz dazu kann es auch sein, dass einer Gruppe eine Richtung und Impulse fehlen - dann kann es Führungsaufgabe sein, diese Lücke zu füllen und selbst inhaltlichen Input zu geben. Es kommt eben immer auf die Situation an.
Diese Form des Führens ist an die Gesprächssituation angepasst mit dem Ziel, den Wert einer Diskussion für eine Gruppe zu maximieren. Es gibt für dialogisches Führen keine Formel, sondern abhängig von der Situation führen die Teilnehmer durch das Balancieren von Zuhören und Inhalten, abhängig davon, was am Besten für die Gruppe ist und diese weiterbringt. Anschließend wird in der Gruppe reflektiert, welche Gesprächsrollen vertreten waren und welche gefehlt haben. Gleichzeitig wird besprechbar, falls sich Konflikte andeuten.
In vielen anderen Führungsansätzen sind die Rollen fest verankert und wechseln nicht. In klassischen Führungsansätze werden Führungskräfte eher als “mover”, die inhaltlich agieren und Entscheidungen treffen, beschrieben. Aktuellere Ansätze sehen in der Führung eher die Rolle als Facilitator und Coach und damit als “bystander”. In den seltensten Fällen wird Führung mit “following” gleichgesetzt, obwohl dies eine der bedeutendsten Funktion ist - letztendlich geht es darum, etwas umzusetzen. In meinen Augen ist dies ein Ansatz, der wirklich agiler Führung entspricht - ob Führung an eine Position gebunden ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Hauptsache die Kommunikation verläuft effektiv.
Für jeden von uns, der in Gruppen agiert, ist es hilfreich, das eigene Verhalten zu reflektieren und dieses bewusst zu verändern und an die gegebenen Situationen anzupassen. Wie verändert sich die Gruppendynamik, wenn ich als Führungskraft nur zuhöre, anstatt Vorschläge zu machen? Oder was passiert, wenn ich mal den umsetzenden Part übernehme? Wichtig ist hier, das bewusst mal auszuprobieren und zu sehen, wie ich durch mein eigenes Verhalten die Gruppendynamik verändere. Daraus zu lernen ist der wesentliche Aspekt. Letztendlich geht es darum, das bestmögliche Ergebnis für die Gruppe insgesamt zu ermöglichen und nicht für sich selbst. Dafür ist immer die bestehende Situation zu berücksichtigen und es gilt sich daran anzupassen.
Agile Führung fängt also dann an, wenn die Situation erkannt wird und entsprechend das Verhalten angepasst wird. Solange nachgelagert mit der Gruppe reflektiert wird, wie hilfreich die Diskussionen waren, ist nämlich ebenso kontinuierliches Feedback gegeben.
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