Wir feiern einen geschafften Sprint, wertschätzen unser Daily und bereiten akribisch die nächste Retro vor. Doch so agil wir im Beruf auch sind – gilt das auch für unsere privaten Vorhaben? Sind unsere Neujahrsvorsätze, mit denen wir uns Jahr um Jahr verbessern wollen, eigentlich agil?
Weniger Süßigkeiten. Mehr Sport. Und endlich mit dem Rauchen aufhören? Zu Beginn des neuen Jahres sind wir hoch motiviert. Doch der große Trainingsplan stirbt meist schon nach dem Neujahrskater. Oder spätestens so Mitte Februar. Doch woran liegt das? Zu Beginn des Januars, wenn alle Plätzchen vertilgt sind, blicken wir schließlich ganz euphorisch auf diese Vorsätze: Wir nehmen uns vor, gesünder zu essen. Haben stolz den neuesten Ratgeber gekauft und lesen viele gute Blogartikel dazu. Kaufen daraufhin Unmengen Goji-Beeren. Machen vielleicht einen Ernährungsplan. Soll ja langfristig auch was bringen! Zeitgleich wollen wir heldenhaft keine Zigarette mehr anrühren und mindestens dreimal die Woche zum Sport gehen. Das Sonderangebot vom Fitnesscenter haben wir gleich mal ohne langes Lesen mitgenommen. Der Januar sei (Überraschung!) der umsatzstärkste Monat, zitiert der Tagesspiegel eine Sprecherin der Kette McFit. Und die Fokussierung? Weicht viel zu häufig dem blinden Aktionismus.
Agil ist das nicht: Denn wir investieren unsere Zeit und unser Geld nämlich bereits vorab (das Sonderangebot, die Ratgeber,...). Meist umsonst. Denn es ist nur eine Investition in einen Plan. Der doch nicht eintrifft, weil uns vielleicht ein Kollege zum Jubiläum einlädt, danach ganz überraschend Tante Erna Geburtstag hat und schon haben wir zwei Tage Kuchen im Bauch. Und danach? „Jetzt ist’s auch egal“, sagt dann oft unser innerer Schweinehund und schon sind die guten Absichten hinüber. Wir hatten ein viel zu großes Ziel, das sich im Laufe der Ausnahmen in eine kleine Wolke auflöste, die uns zwar hin und wieder im Kopf herumschwirrt, aber eigentlich nur nächstes Silvester wirklich in Erscheinung tritt. „Dieses Mal aber wirklich!“, sagen wir uns dann.
Tun wir doch mal so, als wäre heute noch einmal Neujahr. Und wir haben mehrere Requirements an uns selbst. Priorisieren wir zunächst. Und schätzen die Komplexität. Neujahrsvorsatzplanning sozusagen. Ernährung umstellen zum Beispiel können wir gleich anfangen, da brauchen wir nur mal abends zur Salatpackung greifen, statt zur Ravioli-Dose im Regal nebenan. Sport machen ist vielleicht etwas aufwändiger. Und das Rauchen? Nun ja, dringend, aber mit dem größten Aufwand verbunden. Eher komplex also.
Und hier kommt der agile Pragmatismus ins Spiel. Einfach machen. Anfangen, ohne lang Pläne zu machen. Mittagspause? Heute einfach mal mit den Kollegen Salat schnippeln, statt Pizza zu bestellen. Das macht sogar Spaß! Der erste Schritt muss so klein sein, dass wir ihn ohne (innere) Widerstände wiederholen und dann immer weiter ausbauen können. Kommt uns zwar bekannt vor, doch daran scheitern die meisten Neujahrsvorsätze. Denn Kaizen predigen wir zwar, wenn wir vor unserem Board stehen, doch wie sieht es bei der Veränderung an uns selbst aus? Wenn wir uns jeden Tag oder auch jede Woche ein bisschen verbessern könnten, haben wir langfristig Erfolg! Nur einmal Sport gemacht diese Woche? Das ist doch schon mehr als die Couchpotato von letzter Woche! Also nicht beirren lassen von der angeblichen Freundin der Schwester des Kollegen, die seit Januar viermal pro Woche ins Fitnessstudio geht: Eine (zu) große Veränderung mag uns zwar kurzzeitig zu Höhenflügen verhelfen, ist aber eben auch schnell verflogen. Denn langfristige Veränderung macht Angst. Unser Stammhirn blockiert und unser innerer Computer sagt NEIN. (Hier der passende Artikel „Change happens.“) Doch wenn wir jeden Tag einen kleinen Schritt verändern, dann umgehen wir diese Angst. Machen wir heute beim Fernsehen eine Kniebeuge, so kostet uns das nicht viel. Und morgen machen wir zwei. Ganz locker nebenbei beginnen wir so, Sport zu machen. Eben jeden Tag etwas mehr als gestern. Genauso, wie die japanische Lehre des Kaizen es benennt: Eine kontinuierliche (!) Verbesserung – ohne Anstrengung. Wiederholen wir nämlich diese kleinen Schritte und verbessern diese wiederum, tritt eine Gewohnheit ein – und schon ist der Salat (oder die Kniebeuge bei der Lieblingsserie) zum Alltag geworden. Ist irgendwie gar nicht so schlimm!
Nach einer Woche gucken wir, wie es denn gelaufen ist. Wie oft hat es denn geklappt und wie oft nicht? Woran hat es gelegen? Vielleicht hilft es, für mehrere Tage einzukaufen, um nicht in Versuchung zu kommen oder sich einen Tag in der Woche zu schaffen, an dem Ausnahmen erlaubt sind? Also in der kommenden Woche gleich mal ausprobieren. Die nächste Vorsatz-Iteration sozusagen. Das ist überschaubar.
Und Feedback kommt meist ganz unaufgefordert. Freunde finden uns plötzlich viel fitter und besser gelaunt, als noch im Dezember. Vielleicht haben wir auch die Wette gewonnen, im Januar keine Kekse zu kaufen. Und schon sind auf diese Weise sechs Wochen um, es ist vielleicht Mitte Februar. Doch wir sind gerade richtig drin, haben neue Rezepte ausprobiert oder gar Gefallen an Gemüse gefunden. Und den Kuchen (1 Stück) am Sonntag erlauben wir uns nach einer durchgehaltenen Woche. Zeit also, den besten Freund zur Revanche im Tischtennis herauszufordern. Vielleicht muss Sport gar nicht so schlimm sein und wir können wieder einen kleinen Schritt wagen. Gleich jetzt!
PS.:
Ein paar praktische Hinweise für Neujahrsvorsätze hat Dan Greening bereits 2015 aufgebracht. Ob er sie für sich umsetzen konnte, ist uns leider nicht bekannt. Mitgeben können wir euch aber ein Gedicht von Erich Kästner. Agiler als gedacht, oder?
"Man soll das Neue Jahr nicht mit Programmen
beladen wie ein krankes Pferd,
wenn man es all zu sehr beschwert,
bricht es zu guter Letzt zusammen.
Je üppiger die Pläne blühen,
um so verzwickter wird die Tat.
Man nimmt sich vor, sich schrecklich zu bemüh'n
und schließlich hat man den Salat.
Es nützt nicht viel, sich rot zu schämen,
es nützt nichts und es schadet bloß,
sich tausend Dinge vorzunehmen.
Lasst das Programm und bessert euch drauflos."