„Ich arbeite kreativ – das kann man nicht mit so einem Board durchorganisieren!“ Ist das ein valides Argument gegen die Einführung von Kanban für Agenturen, Marketingteams oder (selbstständige) Journalisten? Mein ganz „personal Kanban“ für das Marketing von Leanovate zeigt das Gegenteil. Auch wenn man sich daran gewöhnen muss. Aber man lernt! Sehr viel sogar! Zum Beispiel, warum es so schwer ist zu finishen, was man gestartet hat.
Natürlich kenne ich seit meinem ersten Tag den Aufkleber im Büro: „Stop starting, start finishing.“ Gut, ganz am Anfang dachte ich, das ist halt so ein Kanban-Spruch. Macht ja auch Sinn, hört sich völlig vernünftig an. Spätestens nach der Schulung, in der ich selbst erfahren konnte, wie unproduktiv Multitasking ist. (Hier habe ich über meine Anfänge in der agilen Welt geschrieben) Doch wie funktioniert das am Alltag? Braucht man als kreativer Mensch das Chaos? Eins nach dem anderen zu erledigen ist nur etwas für anzugtragende Spießer? Oder kann ein WiP-limitiertes Kanbanboard auch hilfreich im kreativen Alltag sein?
Ich habe ein Tief. Habe einen Blogartikel angefangen, komme nicht weiter, weil nach drei Stand-Ups neben mir die Konzentration irgendwie weg ist. Dann ein Termin zum Lean Coffee und ich bin dran, Tickets für uns alle an ein GeneralBoard zu hängen. Da ist der Kopf dann ganz woanders. Dann eine Nachfrage vom Kunden und ich behebe nebenbei noch zwei Bugs auf der Website. Oh, eine Bestellung kommt rein! Und so sitze ich und packe ein Päckchen voller Delegation Poker Karten für eine Behörde in Süddeutschland, als das Telefon klingelt.
So oder so ähnlich sieht der Alltag vieler aus, die zwar kreativ arbeiten und dennoch allerlei organisatorische Aufgaben nebenher bewältigen. Multitasking at it’s Best. Oder doch nicht? Denn fertig wird irgendwie….nix.
Statt sich also im Chaos des ständigen Anfangens zu vergraben, ist es unabdingbar, sich zu organisieren. Nach dem Telefonat zurückzukehren zum angefangenen Task, eine Notiz gleich ans richtige Board zu hängen oder für das Feedbackgespräch einen Termin auszumachen, statt das irgendwie zwischenzuschieben. Moderne Arbeitsplatzkonzepte erlauben auch einen Rückzug, wenn es mal lauter wird im Büro (bei uns rollt’s). Chaos hilft nicht und hat nichts mit Kreativität zu tun. Denn Kreativität braucht Platz und Luft und keinen Müllhaufen. Auch nicht im Kopf. Der belastet nur.
Seit mehreren Wochen experimentiere ich mit einem neuen Kanbanboard. Ein digitales Board mit selbst definierten Spalten und mehreren Lanes, um mir einen Überblick über all die verschiedenen Aufgaben und Aufgabentypen, die ich so habe, zu verschaffen. Farbige Tickets, um den Überblick dann auch zu behalten. „Ganz schön bunt“, finden viele Kollegen, die einmal draufschauen. Dafür sehe ich aber auf einen Blick, an was ich eigentlich gerade arbeite. „Start where you are“ ist eben auch nicht nur ein Spruch, sondern stimmt. Und darauf aufbauend kann ich mich verbessern.
„Haste auch schon mal vom WiP-Limit gehört“, fragt mich ein Kollege augenzwinkernd, als er die Menge an Tickets sieht. Ja zugegeben, manchmal stoße ich an mein Limit, wenn man wieder zu viel in Progress ist. Doch genau hier beginnt das Lernen. War das Ticket nicht klein genug geschnitten, dass es so lange da hängt? Habe ich Impediments, die mich behindern? Kann ich sie aus dem Weg räumen? Wenn nicht ich, wer dann? Oder habe ich mich einfach überschätzt und mir zu viel aufgehalst? Das wäre ohne das Board gar nicht so sichtbar geworden! Höchstens als nebulöser Kopfschmerz.
Dieses Learning ist unglaublich wertvoll und (das bestätigen mir unsere agile Coaches) auch durchaus wünschenswert. Wenn mein Work in Progress sich also mal wieder rot färbt, merke ich auch an anderen Stellen, dass da etwas nicht ganz rund läuft. Dann sind da zehn Sachen im Kopf und mich beschleicht das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Kreativität ist mit Verstopfung im Kopf dann gar nicht möglich. Und genau das zeigt mein WiP-Limit mir dann auch an.
Und spätestens im wöchentlichen Replenishment wird klar: da hängt noch einiges im Argen. Nämlich die fünf angefangenen Tickets, die ich, weil ich an anderen nicht weiterkam, dann doch angefangen habe. Doch dass ich damit dann schneller Dinge erledigt bekomme, ist leider eine Illusion, von der ich mich verabschieden muss. Denn statt am Ende der Woche viele Dinge erledigt zu haben, bildet sich eine nebulöse, die Kreativität völlig hemmende Wolke im Kopf. Man denkt über Aufgabe A nach, während man noch am Task B arbeitet. Und eigentlich wäre Ticket C doch viel dringender? Und schon bekommt man gar nichts mehr geregelt. Egal ob also kreative Aufgabe, die Spaß macht, oder Routine-To-Do’s: So kommt gar nichts voran.
Also wird sortiert: Für Tickets, bei denen ich auf andere angewiesen bin und die quasi „warten“, habe ich eine extra Spalte: Waiting for Feedback. Von Zeit zu Zeit sammelt sich hier einiges an. Da brauchte ich Feedback zu einem Foto vom Kollegen. Da muss sich der Catering-Dienstleister noch zurückmelden. Ein Blogartikel liegt bei einem Freund zu Review. Bei dem ein oder anderen Ticket hat sich das Thema vielleicht längst erledigt? Aufräumen ist angesagt. Schließlich ist das kein selbstkompostierendes System! Sondern mein Kanbanboard ist auf einmal auch aufräumen für den Kopf.
Ich merke: Sortieren und organisieren ist auf einmal gar nicht so schlecht für die Kreativität. Weil es Platz schafft im Kopf. Also Stop Starting. Auch wenn es schwer fällt. Und erst mal finishen, was man angefangen hat. Senkt den Ballast und sorgt für die nötige Luft, auch einer kreativen Eingebung folgen zu können. Und genau dafür muss am Board dann auch Platz sein.
Ich habe eine Idee! Ein neues ganz tolles Werbegeschenk! Ich google eine paar Minuten, recherchiere Preise und Machbarkeit, informiere mich über Qualität und …. oh. Ich muss gehen. Und habe an etwas ganz anderem gearbeitet, als vorgenommen. Das macht im ersten Moment schlechte Laune, wenn man heute dann doch wieder kein Ticket in done ziehen kann. Sondern eigentlich eines dazu hängen muss. Aber irgendwie ist man ja doch vorangekommen.
Denn eins darf das Board nicht: Die Kreativität vor der Tür stehen lassen. Wenn sie kommt, dann ist sie da und sollte genutzt werden. So wie jetzt gerade. Und dann ist ein anderes Ticket done. Und das bringt den ganzen Flow viel mehr in Schwung, als wenn der Knoten im Kopf nicht platzen will, weil man sich einem Ticket verschrieben hat, was eben gerade nicht weiter geht.
Dafür habe ich mir eine Lane Paused geschaffen. Mit WiP-Limit natürlich! Aber da darf rein, was eben noch ein bisschen reifen muss. Aber schon das Schreiben dieses Artikels bewirkt, dass ich wieder motiviert bin, mir das nächste Ticket vorzuknöpfen – um es zu beenden. Wenn ich hiermit fertig bin natürlich.
Und ich trotz eines spontanen Arbeitens an etwas was geschafft habe – und ich dadurch jetzt wieder mehr schaffen kann.
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