Es klingt so furchtbar einleuchtend: Schließe eine Sache ab, bevor du die nächste beginnst. Und doch ist dieses einfache Prinzip wohl die agile Regel, die mit Abstand am häufigsten gebrochen wird. Aber warum? Ein Erklärungsversuch an Beispielen.
Es waren einmal Menschen, die wollten ihr Haus verschönern und renovieren. Sie hatten etwas Zeit, Budget, handwerkliche Begabung und sehr viele Ideen.
Eine davon war der Wanddurchbruch zwischen Küche und Wohnzimmer. Da man gerade am Frühstückstisch saß, war das das nahe liegendste Projekt für den Anfang. Wie breit sollte der denn eigentlich werden, und mit Tür oder ohne? Mal anzeichnen wie es aussehen könnte... schwere Entscheidung! Das lassen wir doch erst mal sacken und machen etwas anderes!
Im Schlafzimmer muss der alte Teppich nun wirklich mal ausgetauscht werden – raus damit! Am Nachmittag aber scheint die Sonne so schön, das Wetter muss man doch nutzen! Also geht es nun daran, das Balkongeländer auszutauschen, das heißt erst einmal zu demontieren.
Irgendwann bei einer Kaffeepause fällt dann die Entscheidung: Doppelflügeltür zwischen Küche und Wohnzimmer! Der Tatendrang lässt sich kaum bändigen, und los, her mit dem Stemmeisen und die Wand aufgebrochen. Bald ist der Durchbruch groß genug – aber natürlich fehlt noch die Tür. Auf geht es zum Baumarkt. Das Angebot ist riesig, und in der Sanitärabteilung gibt es auch so viele spannende Angebote und....
... und so weiter und so fort. Innerhalb weniger Tage oder gar Stunden ist das Haus eine einzige Baustelle, fast überall ist etwas weggerissen oder abmontiert, aber nichts davon ist nur ansatzweise als „fertig“ zu bezeichnen.
Und wieso? Weil man sich eigentlich nie wirklich entschieden hat, was man zuerst machen will. Oder in der agilen Sprache: Weil es keine Priorisierung gibt.
Was hilft?
Genau das wäre auch der Ausweg auf der Misere: Zuerst Ideen sammeln, dann entscheiden, was davon am wichtigsten ist, und dann genau damit, und nur damit anfangen. Denn: Wenn diese Aktion tatsächlich wichtiger ist als alle anderen, dann sollte sie auch als erstes und so schnell wie möglich fertig werden! Das gilt für eine Hausrenovierung genauso wie für die Entwicklung von Software.
Die Steuererklärung steht an, oder der Großputz, oder, in der Softwareentwicklung, eine große Timebox für’s Refacturing? Und schon sprudeln die Ideen, was man sonst noch alles Sinnvolles tun könne! Den Kleiderschrank ausmisten, die Großtante anrufen, mal wieder die aktuellen Weiterbildungen und Konferenzen im eigenen Spezialgebiet recherchieren oder den Desktop aufräumen – es gibt so vieles, womit man sich lieber beschäftigt als mit dem, was eigentlich ansteht. Im Zweifel ist sogar der Großputz angesagter, wenn eigentlich die Steuer ansteht, oder das Refacturing, wenn doch die Doku aktualisiert werden müsste.
Nun ist das Gras auf der anderen Seite des Zaunes bekanntlich immer ein wenig grüner, und man wünscht sich oft das, was man nicht hat. Und langweilige Arbeiten sind mit Abwechslung ja tatsächlicher leichter zu ertragen, selbst wenn man nur von einer langweiligen Aufgabe zur nächsten stupiden Arbeit springt.
Doch es muss auch klar sein: In der Regel gibt es ja einen Grund, wieso diese oder jene Aufgabe jetzt ansteht! Wer einfach chronisch etwas anderes macht, macht das unwichtigere vor dem Wichtigen. Und selbst wer das mit den Prioritäten nicht so genau nimmt, sollte sich beim Hin und Her der Aufgaben eines klar machen: Man wird sicher nicht schneller mit den ungeliebten Aufgaben, wenn man permanent wechselt, da jeder Neu-Anfang wieder neue Anlaufzeit benötigt und jede Unterbrechung den Arbeitsprozess ausbremst.
Was hilft?
Wer also weiß, dass er einen wirklich langweiligen, großen Brocken Arbeit vor sich hat, der tut gut daran, sie sich von vornherein zu unterteilen, und kleine Zwischenziele einzubauen. Wer zwei Stunden konsequent Code aufgeräumt hat, darf sich danach sich danach guten Gewissens erlauben, das interessante neue Feature weiter zu entwickeln. Wer den dicken Ablagestapel durchsortiert hat nach den Steuerunterlagen, kann die verlängerte Kaffeepause umso mehr genießen.
Ehrlich, so übel ist die aktuelle Aufgabe gar nicht, macht eigentlich Spaß und geht gut voran. Aber, Moment, da fällt mir gerade was ein – das wollte ich doch schon immer mal nachlesen, wie es sich zu diesem Thema verhält! Gleich mal zu Wikipedia. Und überhaupt, gibt es was Neues in den Nachrichten, auf Facebook, Xing oder Twitter? Wie ist eigentlich der Anmeldestand für die Veranstaltung nächste Woche, kenne ich da jemanden? Ach, und nach Ideen für das Sommerfest hat die Kollegin doch auch gefragt, da wollte ich doch auch mal nachschauen, ob der nette Biergarten von neulich...
Schwups, schon hat man drei, vier oder mehr Fenster offen im Browser, selbst wenn man „nur mal kurz“ für ein paar Sekunden beim Nachrichtenportal oder im Emaileingang vorbei geschaut hat, um festzustellen, dass es wohl gerade nicht Neues gibt: Rausgerissen aus seiner Arbeit hat man sich dennoch, und es braucht wieder ein paar Sekunden, bis man genauso „drin“ ist wie zuvor. Davon, dass ein möglicher „Flow“, also ein völliges Aufgehen in der Tätigkeit, mit Sicherheit gar nicht erst entstehe kann, mal ganz abgesehen.
Was hilft?
Was man damit tut, selbst mit jedem kleinen Seitenblick, ist auch nichts anderes als sich über die eigentlichen Prioritäten hinweg zu setzen. Wer nach dem Wetter schaut, statt zu programmieren oder zu konzipieren oder auszuwerten, sagt nichts anderes als „Das ist (mir) im Moment wichtiger!“.
Sich zu zwingen, das laut auszusprechen (oder wenigstens zu denken) kann schon ein erster Schritt sein. Ist das wirklich mein Ernst, dass das jetzt wichtiger ist? Sollte eine berechtigte Anschlussfrage sein, deren Antwort einem im besten Falle wirklich peinlich ist, so dass man gar nicht erst auf die Idee kommt, das weiter zu verfolgen.
Am effektivsten aber hilft: Sofort die Idee oder gewünschte Handlung aufschreiben und zur Seite legen: Den spontanen Impuls hebt man sich als „Belohnung“ auf, wenn man die eigentliche Arbeit geschafft hat. Aber erst dann.
Mit dieser Aussicht bewirkt man gleich zweierlei: Zum einen erkennt man die Idee an, so dass diese beruhigt wieder in den Hintergrund treten kann, und hat gleichzeitig wieder den Kopf frei für die eigentliche Arbeit. Und: Man hat ein Ziel, eine Aufgabe, auf die man sich freut – wenn man denn fertig ist mit dem, was eigentlich ansteht. Das motiviert und führt wahrscheinlich dazu, dass man ein wenig schneller und konzentrierter arbeitet: schließlich will man sich seine Belohnung schnell abholen! Aber nicht sofort – erst, wenn man sie sich auch wirklich verdient hat!
Wir sehen, die Gründe des Flüchtens, Springens und Ablenkens von den eigenen Aufgaben sind vielfältig. Und ich kenne keinen Menschen, der dagegen immun wäre. Und doch: Wer am Ende des Tages ein wenig stolz auf sich sein will, auf seine vollbrachte, und das heißt ja in der Regel: fertig gestellte Arbeit, der ist gut daran beraten, sich zu konzentrieren. Eines nach dem anderen. Denn dann, und das ist die wirklich gute Nachricht, hat man die lästigen Arbeiten schneller hinter sich und hat jede Menge Zeit für das, was wirklich Spaß macht.
Leuchtet ein, ist klar, nur die Praxis ist schwieriger. Aber probiert es aus. Denn Übung macht den Meister, und am Ende ist die eigene Erfahrung und das Wissen, dass es funktioniert, noch der beste Motivator.
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