Ich war recht neu im Projekt, gerade dabei, Scrum einzuführen und ich hatte den Tag beim Kunden verbracht. Ich saß mit im typischen klassischen Entwicklerbüro mit 4 Schreibtischen, 8 Monitoren und ebenso vielen Kaffeetassen. Der Idee vom papierlosen Büro kam das wohl schon recht nahe. Nur vor mir lagen Zettel. Viele Zettel. Ein Notizblock, der eher als Unterlage diente, und darauf Haftnotizen in verschiedenen Größen und Farben: meine Tasks und Ideen, die sich aus dem Tag ergeben hatten.
Einer der Entwickler schaute zu mir herüber. „Ganz schön bunt bei dir.“ – „Ja, sind meine ganzen Aufgaben, um die ich mich noch kümmern will.“ – „Hm, aber Papier, ist das nicht etwas old school?“
Papier old school? Ich musste an einen Comic denken, den ich irgendwann in einer alten Zeitschrift gefunden hatte, aus den 80ern wohl. Darauf ein alter Mann im Schaukelstuhl mit seinem Enkel. Der alte Mann: „Weißt du, ein Brief war so etwas wie Teletext, nur auf Papier.“, worauf der Sohn fragt: „Papier??“ Man muss kein altmodischer Mensch sein um heute zu fragen: „Teletext??“
Natürlich gibt es eigentlich alles, was man auf und aus Papier machen kann, auch digital, und noch viel mehr. Auch ich lese eBooks, schätze die Synchronisation meines Kalenders über verschiedene Geräte hinweg und Einkaufszettel schreibe ich als Notizen im Smartphone, das lasse ich wenigstens nicht immer auf dem Küchentisch liegen.
Für die Organisation meiner Arbeit aber halte ich Klebezettel für die mit Abstand beste Lösung, und das aus verschiedenen Gründen:
Wenn ich im Gespräch mit meinen Kollegen, beim Lesen einer Email oder eines Artikels eine Idee habe oder eine Aufgabe auftaucht, braucht es (sofern man Stift und Notizblock griffbereit hat, aber das ergibt sich mit der Zeit von alleine) nur Sekunden, um das nötige Stichwort festzuhalten. Ich muss nicht Handy oder Rechner zücken, die richtige Anwendung starten, eine neue Notiz oder was auch immer eröffnen und vielleicht auch noch entsprechende zusätzliche Angaben machen, um den Gedanken richtig einzuordnen und wieder zu finden. Denn das Sortieren vertage ich bei der handschriftlichen Notiz auf später. Wenn es denn dann noch aktuell ist.
Womit ich auch schon zum zweiten Punkt komme:
Sobald ich mit dem Gespräch oder dem Lesen von was auch immer fertig bin, nehme ich also die geschriebene Notiz (oder Notizen) zu Hand und entscheide für jeden Zettel: Sofort (wenn es weniger als 5 Minuten dauert), später, oder nie (z.B. weil es sich schon wieder erledigt hat, weil es vielleicht doch keine gute Idee ist oder weil es viel zu viel andere Aufgaben gibt, die wichtiger sind.)
Was lohnt, später getan zu werden, kommt in die Warteschlange. Das kann ein Whiteboard sein, eine Ecke auf der Schreibtischplatte oder eine Mappe, in der man die Zettel anordnen kann. Nach Thema, nach Dringlichkeit, nach Aufwand - wie es einem passt und wie es gerade nötig ist. Denn: Es ist ein leichtes, die Zettel so zu sortieren, wie es gerade sinnvoll erscheint, und sich die Zettel, die man konkret angehen will, herauszunehmen.
Wer allen Aufgaben einen eigenen Zettel gibt, sieht auf den ersten Blick, wie viel er zu tun hat. Wer auf den ersten Blick vor Augen hat, wie viele spannende und auch wichtige Dinge in der Warteschleife sind, wird realistischer einschätzen, ob und wann er neu aufkommende Aufgaben angehen kann. Das Gleiche gilt natürlich für jeden anderen, der an meinem Schreibtisch oder Whiteboard vorbeikommt.
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Hinweise darauf, dass es hilfreich für das menschliche Gehirn ist, wenn der Input nicht nur über die Augen (und den sensorisch vermutlich abgestumpften Zeigefinger der Maushand), sondern über das taktile Bearbeiten von Dinge erhält. Zettel machen die Arbeit im wahrsten Wortsinne begreifbar.
Und es macht mehr Spaß: Anstatt nach Erledigung einer Arbeit die Lösch-Taste zu drücken oder eine kleine Checkbox zu klicken, kann ich den Zettel „erledigen“: Ich kann ihn zerreißen, zerknüllen, kann Papierflieger basteln oder einfach so in den Papierkorb gleiten lassen, kann die Aufgabe durchstreichen und sammeln und sehen, wie der Turm der erledigten Arbeit wächst. Egal wie: Ich handele, um die Arbeit abzuschließen.
Ok, es gibt auch Nachteile der Zettelwirtschaft: Sie sind ortsgebunden, und selbst wenn ich alle Zettel in einer transportfähigen Mappe habe, muss ich dafür sorgen dass diese Mappe da ist, wo ich bin. Es gibt keine Möglichkeit, Aktionen rückgängig zu machen oder frühere Zustände zu rekonstruieren. Wer sich ein Backup wünscht, dem sei zumindest die (digitale) Fotografie empfohlen, mit der zwar nicht die physischen Zettel, aber zumindest der Inhalt festgehalten werden kann.
Und natürlich geht es hier nur um die Aufgabenplanung, um erste Ideen und nicht um ausgewachsenen Konzepte oder Recherchen. Alles, was an Information über zehn Worte hinaus geht, ist digital sehr gut aufgehoben. Die Referenz darauf, also die Erinnerung, mich um diese zehn bis 700 Worte oder Teilchen zu kümmern und das Thema abzuschließen, die schreibe ich aber wieder auf einen schönen, bunten Klebezettel.
Im Büro der Entwickler, die sich zu Beginn meines Einsatzes so über meine Zettel gewundert haben, hat der Papieranteil auch zugenommen. Zwar arbeiten sie hauptsächlich mit einem digitalen Taskboard. Der erste große Packen Haftnotizzettel ist jedoch schon aufgebraucht und kürzlich entdeckte ich einen kleinen Papierstapel: Release-Checkliste. Weil eben auch das Abhaken von wiederkehrenden Aufgaben auf Papier schneller und übersichtlicher ist. Da ist dann Papier eben gar nicht mehr „old school“.
Rufen Sie uns an: 030 – 555 74 70 0
Moin!
Endlich eine verwandte Seele... uff. Ich bin nicht allein auf dieser Welt. Sooo lange habe ich verschiedene Varianten versucht: digital - nicht spontan genug, ToDo-Listen handschriftlich führen - spätestens wenn 90 Prozent erledigt sind, ist die Liste TOTAL unübersichtlich, KLEBEzettel - jupp - notieren - kleben -und jeden Morgen neu sortieren - können, aber nicht müssen - wenn erledigt - knüllen - WECH :o)Bei mir sieht es auch bunt aus - aber, das Leben ist BUNT!